Manchmal führt ein Interview in Tiefen, die man vorher nicht erwartet – so ging es mir mit Elenora Pertz, der großartigen Pianistin und Gründerin von Lied the Way.
Unsere Unterhaltung war mehr als ein Einblick in die Welt des Kunstliedes. Es war eine Reise durch strukturelle Herausforderungen, durch feministische Perspektiven auf Karriere – und durch die Frage, wie man als Frau in der klassischen Musik seinen eigenen Weg findet, statt alten Modellen zu folgen.
Frauenkarrieren im Kunstlied: Warum fällt der Anteil nach dem Studium so rapide?
Elenora Pertz schildert eindrücklich, wie sie als junge Musikerin in Wien plötzlich feststellte, dass die Bühnen, CD-Produktionen und Professor:innenstellen im Bereich Lied fast ausschließlich von Männern besetzt waren – obwohl die Studiengänge überwiegend weiblich belegt sind. „Es gibt und gab immer mehr Frauen, die Lied studieren – aber auf den großen Plakaten sind fast nur Männer.“ Der sogenannte Kipppunkt kommt laut Elenora meist mit Ende 20 – just in dem Moment, in dem viele Frauen über Familiengründung nachdenken und gleichzeitig der Aufbau einer freischaffenden Karriere in Fahrt kommt. „Die Gagen sind oft zu gering, um zum Beispiel mit einem Kind und Nanny zu reisen – also steigen viele aus.“
Lead the Way – ein Raum für weibliche Visionen
Mit ihrer Initiative Lied the Way gründete Pertz eine Plattform, auf der Künstlerinnen sich begegnen, ihre Stärken erkennen, lernen zu verhandeln – und gemeinsam neue Wege in der Kunst erproben. „Wir dachten zuerst, wir müssten lernen, dieselben Karrieren wie unsere männlichen Vorbilder zu machen“, erzählt sie. „Doch dann wurde klar: Wir wollen andere Karrieren – mit anderen Werten.“ Es geht nicht um fünf Liederabende pro Woche in fünf Städten, sondern um kuratierte Projekte, kreative Mitgestaltung und künstlerische Tiefe.
Was ist Erfolg? Und wer definiert ihn?
Ein zentrales Thema dieser Folge: Was bedeutet Erfolg für Künstlerinnen? Elenora hinterfragt klassische Erfolgskriterien wie Sichtbarkeit, Bekanntheit oder Gagenhöhe und plädiert für eine persönlichere, individuellere Definition: „Wir brauchen Erfolg, der sich an unseren Werten orientiert. Nicht daran, wie Männer Erfolg vorgelebt haben.“ Für viele Frauen gehört dazu ein gesundes Familienleben, Zeit für Regeneration, kreative Autonomie und Sinnhaftigkeit. „Das ist ein viel holistischerer Blick auf Karriere.“
Community statt Konkurrenz – warum Netzwerke entscheidend sind
Lead the Way lebt von einem starken Netzwerkgedanken. Ob Pianistin, Sängerin oder Professorin – jede bringt ihre Perspektive ein. In den Workshops in Florenz (übrigens bewusst ohne klassische Meisterkurs-Hierarchie) lernen Teilnehmerinnen voneinander, unterrichten sich gegenseitig, reflektieren Stärken, Grenzen und Wünsche. „Wir wollen nicht reproduzieren, was uns oft blockiert hat – sondern etwas Neues schaffen.“ Besonders berührend: Auch Elenoras Mutter ist jedes Jahr dabei und kocht für alle. It takes a village.
Zyklusbewusstsein, Stimme und Selbstwert – ein ganzheitlicher Ansatz
Neben künstlerischem Feinschliff vermittelt Lead the Way auch ungewöhnliche Themen: Stimme als Körperinstrument, neue Konzertformate, Zyklusbewusstsein als Ressource für Kreativität und Lebensführung. Elenora spricht offen über die Relevanz biologischer Rhythmen im künstlerischen Alltag und plädiert für eine neue Achtsamkeit gegenüber dem eigenen Körper. „Wir Frauen haben andere Rhythmen – das ist kein Nachteil, sondern eine Stärke.“
Vision: Ein neues Narrativ für Künstlerinnen
Elenoras Ziel ist nicht weniger als ein kultureller Wandel. Ein neues Narrativ, in dem nicht Anpassung, sondern Gestaltung zählt. „Wir Frauen haben etwas Neues zu sagen. Aber das können wir nur, wenn wir auch eigene Räume schaffen.“ In fünf Jahren wünscht sie sich, dass Lead the Way nicht mehr als „Exoten-Projekt“ wahrgenommen wird, sondern als selbstverständlicher Teil einer künstlerischen Landschaft, die weibliche Stimmen nicht nur duldet, sondern braucht.