Das Interview mit Dominik war für mich eine Herzensangelegenheit, da ich alle Fragen, auf die ich gerne eine Antwort gehabt hätte vor 20 Jahren, stellen konnte. Als ich Akkordeon studierte und die ersten Schritte auf meinen Weg als freie Musikerin ging, war die Welt noch eine andere. Social Media – was ist das? Und doch sind viele Dinge gleich geblieben: Wie stelle ich mich dar? Wie positioniere ich mich? Wer soll meine Kunst hören? Wer soll sie zahlen? Ich hoffe, dass viele, die sich gerade auf den Weg machen, von diesem Interview profitieren.
Ist Kunst ein Produkt? Und wenn ja – ist sie dann noch Kunst?
Wenn jemand weiß, wie die Brücke zwischen Kunst und Wirtschaft aussieht, dann Dominik Joelsohn. Der ehemalige Architekt fand seinen Weg ins Musikmanagement durch Zufall – oder vielleicht durch Fügung. Heute betreut er internationale Künstler:innen, berät Festivals und entwickelt neue Geschäftsmodelle für die Musikbranche. In dieser Folge von Mutig und Klug fragt erzählt er, wie Musiker:innen lernen können, sich als Marke zu verstehen, ohne ihre künstlerische Integrität zu verlieren.
Dominik sagt: „Ich bin eigentlich kein Musiker. Ich bin klassisch ausgebildeter Architekt und habe die Liebe zur Musik erst entdeckt, als ich angefangen habe, mit Künstlern zu arbeiten.“
Diese Offenheit für Neues prägt seine Haltung bis heute. Er denkt Musik und Unternehmertum zusammen – und das mit Leidenschaft. Seine Plattform Music Traveler, gegründet gemeinsam mit Alexej Gudesmann und Yanki Chu, wird von Größen wie Hans Zimmer und Billy Joel unterstützt. Sie vermittelt Proberäume, Venues und bald auch Kontakte zwischen Künstler:innen, Veranstaltern und Agenturen. Eine Plattform, die Strukturen sichtbar macht, die sonst oft verborgen bleiben.
Ist Kunst ein Produkt?
Diese Frage trifft ins Mark – nicht nur für Musiker:innen, sondern für alle, die etwas erschaffen.
Denn was passiert, wenn aus einer Idee plötzlich ein Angebot wird? Wenn Du einen Preis nennen musst, für etwas, das sich gar nicht nach „Ware“ anfühlt? Viele Künstler:innen, Gründer:innen und Soloselbstständige erleben diesen Moment als Bruch.
Jahrelang hast Du geübt, gebaut, komponiert, getüftelt – und plötzlich sollst Du verkaufen.
Du merkst: Qualität allein reicht nicht. Niemand entdeckt Dich einfach so.
Sichtbarkeit ist kein Zufall, sondern Arbeit – und die fühlt sich manchmal an, als würdest Du Dein Innerstes verhandeln. Dominik kennt dieses Spannungsfeld aus beiden Richtungen: Er ist kein Musiker, sondern Architekt, der die Liebe zur Musik fand – und heute als Agent zwischen Kunst und Business vermittelt.
Er bringt auf den Punkt, woran viele scheitern: „Kunst ist kein Gegensatz zum Markt. Sie braucht Strukturen, um überhaupt stattfinden zu können.“
Warum Selbstvermarktung kein Verrat an der Kunst ist
„Perfekt spielen reicht nicht“, sagt Dominik. Er beobachtet seit Jahren, dass viele Musiker:innen exzellent ausgebildet sind, aber in der Selbstvermarktung zögern. „Sie trauen sich nicht, rauszugehen und zu sagen: Hallo, hier bin ich. Sie sehen sich oft nicht selbst als Marke – dabei wäre das wichtig.“
Er fordert Mut zur Persönlichkeit. Denn Sichtbarkeit ist kein Zufallsprodukt, sondern das Ergebnis von Strategie, Haltung und Ausdauer. Und es geht nicht darum, sich zu verbiegen. „Man darf sich als Musiker nicht verstellen. Es geht darum, seine Werte zu kennen – und genau dafür zu stehen.“
Damit wird das Thema „Authentizität“ plötzlich zu einem wirtschaftlichen Faktor. Denn wer sich glaubwürdig zeigt, baut Vertrauen auf – und genau das ist die Grundlage für langfristige Kooperationen.
Den eigenen USP finden: Was macht Dich besonders?
Dominik bringt es auf den Punkt: „Es gibt tausende Musiker, die genauso gut spielen wie du. Warum sollte der Veranstalter genau dich buchen?“
Was banal klingt, ist die zentrale Frage unternehmerischen Denkens. Es geht darum, zu erkennen, was das eigene Angebot unverwechselbar macht. Das kann ein Stil, ein Thema, eine Haltung oder ein Format sein. Aber es muss erkennbar sein – in der Kommunikation, im Auftreten, in der Ansprache.
Dazu gehört auch, sich mit Fragen zu beschäftigen wie: Wer ist meine Zielgruppe? Verkaufe ich an Veranstalter oder an Publikum direkt? Und: Bin ich bereit, mich als Unternehmer:in zu begreifen?
Zwei Wege zur Bühne: Veranstalter oder Selfmade
Dominik unterscheidet klar zwischen zwei Ansätzen:
„Entweder du verkaufst dein Projekt an Festivals – oder du wirst selbst Veranstalter.“ Beides hat seine Berechtigung. Wer auf Festivals spielt, muss wissen, wie man in ein Konzept passt. Wer selbst organisiert, hat Freiheit – aber auch Verantwortung. „Ich sehe immer mehr junge Künstler, die ihre Konzerte selbst organisieren, kleine Venues mieten, ihr Publikum direkt ansprechen.“
Das sei oft der schnellere Weg zur Sichtbarkeit – und ein guter Einstieg, um Netzwerke aufzubauen.
Das unterschätzte Fach: Geschäftsmodellentwicklung für Künstler:innen
Was in Musikhochschulen fehlt, weiß Dominik genau: „Die Selbstvermarktung, Workshops über PR, Social Media oder Steuerrecht – all das kommt zu kurz. Perfekt spielen reicht nicht.“
Er fordert, dass die Ausbildung künstlerische und wirtschaftliche Kompetenz zusammendenken muss. Nicht als Gegensatz, sondern als Befreiung: „Wer seine Finanzen im Griff hat, kann freier arbeiten. Wer weiß, wie man Verträge schließt, kann kreativer sein.“
Für ihn ist klar: Ein Künstler ist auch Unternehmer. Und unternehmerisches Denken bedeutet nicht Kommerz, sondern Selbstbestimmung.
Mut zur Persönlichkeit – und zur Kante
Wenn Dominik über seine Künstler spricht, leuchten seine Augen. „Ich muss sehen, dass sie ein Feuer haben. Dass sie inspiriert sind und andere inspirieren wollen.“
Er wünscht sich Künstler:innen, die Haltung zeigen, die Grenzen ziehen und gleichzeitig über sie hinausdenken. Er erzählt von einer Pianistin, die trotz besserer Marketingchancen bei Steinway bei Bösendorfer blieb – einfach, weil sie sagte: „Das klingt besser für mich.“
Solche Entscheidungen sind für ihn keine Schwäche, sondern Stärke. „Wenn jemand sagt, ich bin nicht auf dieser Plattform, weil das nicht zu mir passt – dann ist das eine klare Botschaft. Und mit solchen Leuten arbeite ich am liebsten.“
Ohne Netzwerk geht nichts
Das Wort, das sich durch das Gespräch zieht, ist Netzwerk. Dominik wiederholt es Dutzende Male, fast wie ein Mantra. „Ohne Netzwerk funktioniert nichts.“
Er selbst hat das Networking erst lernen müssen – und sieht heute darin die wichtigste Fähigkeit junger Künstler:innen. „Man muss rausgehen, Smalltalk führen, Menschen kennenlernen, ohne gleich zu denken: Was bringt mir das?“
Denn Beziehungen entstehen nicht aus Kalkül, sondern aus echter Begegnung. Und manchmal wird aus einem Kaffee ein Konzert.
Was Künstler:innen und die Businesswelt voneinander lernen können
Am Ende des Gesprächs möchte ich noch wissen: Was kann die Businesswelt von Künstler:innen lernen? Dominik lacht: „Dass man auch mal über sich selbst lachen kann. Dass man nicht alles so ernst nehmen muss.“
Umgekehrt können Künstler:innen von der Businesswelt lernen, strategischer zu denken, Netzwerke aufzubauen und dranzubleiben.
Und vielleicht liegt genau hier der Punkt, an dem beide Welten sich treffen: in der Leidenschaft, etwas zu schaffen, das bleibt.

